Ein Rückblick in die Mitte des 19. Jahrhunderts:

Es ist die Zeit großer Umbrüche. Die Industrialisierung hat schon begonnen - das Land wandelt sich von einem bäuerlichen Agrarland in Gebiete von Städten und Dörfern mit Technik, Gewerbe und Industrie. Das Handwerk ist weiter stark vertreten, viele (vor allem) Männer verdienen hier ihren Lebensunterhalt. Politisch, gesellschafts- und kulturpolitisch gesehen sind unruhige Zeiten angebrochen (Kriege werden geführt, Kaiser und Adel regieren noch, ein Kulturkampf beginnt, demokratische Entwicklungen setzen nach und nach ein). Die christlichen Kirchen werden vom Staat (Bismarck!) bedrängt; christlich geprägte Parteien und andere gesellschaftspolitisch relevante Kräfte sind Gegner für die staatlichen Organe.

In diesen unruhigen Jahrzehnten treten "Sozialreformer" auf den Plan. Bischof Emmanuel Kettler (Mainz) gründet die Katholische Arbeiterbewegung (KAB). In Köln und Wuppertal macht ein junger Kaplan namens Adolph Kolping von sich reden. Ein Priester, selbst ursprünglich Handwerksgeselle, kümmert sich um die im Handwerk tätigen jungen Leute. Viele junge Männer aus diesem Milieu, viele von ihnen von Arbeitgebern ausgebeutet (soziale Absicherungen kamen erst später) und geistig verwahrlost, geraten in soziale Schieflagen. In Wuppertal trifft Adolph Kolping  auf Johann Gregor Breuer (1820 - 1897), der in dieser Stadt einen katholischen Gesellenverein gegründet hatte. Kolping erkennt die Bedeutung des Vereins und ist bestrebt, die Idee über Wuppertal hinauszutragen. 1849 wird Kolping Domvikar in Köln und gründet dort den Kölner Gesellenverein, der ein Jahr später bereits 550 Mitglieder hat. Wie in Köln entstehen schnell auch in anderen Städten Gesellenvereine; bis zu Kolpings Tod im Jahr 1865 sind es 418 mit 24.000 Mitgliedern.  

Der Verein soll den wandernden Gesellen einen ähnlichen Halt geben, wie ihn nach Kolpings Überzeugung nur die Familie bietet, und die von ihm initiierten Gesellenhospize sollen für die Mitglieder „ein Familienhaus sein, in dem sie gewissermaßen ihre Familie, gleichgesinnte und gleichberechtigte Freunde wieder -finden und mit ihnen in inniger freundschaftlicher Weise zusammenleben.“ Die Gesellenhäuser sind deshalb nicht nur wohnliche Herberge, sondern auch Schule, die es den jungen Handwerkern ermöglicht, sich religiös, politisch und fachlich zu bilden. Auch die Geselligkeit soll dabei nicht zu kurz kommen.

Es gilt auch heute noch:

Als ein Verband von engagierten Christen ist das Kolpingwerk offen für alle Menschen, die auf der Grundlage des Evangeliums und der Katholischen Soziallehre/Christlichen Gesellschaftslehre Verantwortung übernehmen wollen. Hier geben und erfahren Menschen Orientierung und Lebenshilfe. Im Sinne Adolph Kolpings will der Verband  Bewusstsein für verantwortliches Leben und solidarisches Handeln fördern. Das Kolpingwerk versteht sich als Weg-, Glaubens-, Bildungs- und Aktionsgemeinschaft.
Schwerpunkte des Handelns sind dabei: die Arbeit mit jungen Menschen und für junge Menschen, Engagement in der Arbeitswelt, das Zusammenwirken mit und der Einsatz für Familien und für die Eine Welt.

Das Kolpingwerk Deutschland ist im 21. Jahrhundert ein katholischer Sozialverband mit bundesweit mehr als 250.000 Mitgliedern in mehr als 2.600 Kolpingsfamilien. Es ist Teil des Internationalen Kolpingwerkes und des Kolpingwerkes Europa.
 

Vor dem geschilderten Hintergrund seit Mitte des 19. Jahrhunderts kommen später auch in Westfalen/im Münsterland Bestrebungen zur Gründung von Vereinen in Gang, die sich um die Werktätigen, die Arbeiter und Handwerker kümmern wollen. So wird 1924 in Nottuln die KAB gegründet, zwei Jahre später der Katholische Gesellenverein. Möglicherweise hat das Auftreten der KAB Anstoß zur Gründung des Gesellenvereins gegeben. Aufzeichnungen in der Chronik gibt es darüber nicht, Zeitzeugen dieser Entwicklung können nicht mehr gefragt werden. Was zu vermuten ist: Die Gründung der Verbände, auch die des Gesellenvereins, war wohl nicht ganz so einfach. Aus Erzählungen von nicht mehr lebenden Vätern und aus dem Zusammenhang heraus scheint es, dass die Obrigkeit vor Ort wohl nicht sehr begeistert war. Hans-Peter Boer schreibt in einem Aufsatz zum Auftreten der Verbände vor Ort, den er zum 50-jährigen Jubiläum 1976 verfasst hat (siehe Festschrift der Kolpingsfamilie, Seite 16 ff.), dass Dechant Pollack (seit 1842 in Nottuln) Jugendarbeit in besonderer Weise forciert habe. Dabei sei es ihm zunächst um die jungen Männer gegangen; mit Blick auf die Tätigkeiten der Bruderschaften sei es dann wohl als "Gegendruck" zur Gründung der "Marianischen Sodalität" gekommen. Das Leben dieser Vereinigung sei wiederum stark geprägt gewesen durch Gottesdienste, Gebets- und Andachtsübungen. Die Nottulner Jünglingssodalität habe schließlich mehr als 100 Jahre bestanden.

 Aus alledem lässt sich wohl ableiten, dass durch das Wirken der Sodalität, durch die Tätigkeiten der beiden Bruderschaften und im Hinblick auf Nottulns spezielle gesellschaftlichen Verhältnisse über Jahrzehnte vor und nach der Jahrhundertwende ein anderweitiges Verbands- und Vereinsleben nicht zustande kam. Zu bemerken ist hier, dass z.B. der Kolping-Diözesanverband Münster zum Zeitpunkt der Gründung in Nottuln bereits ca. 60 Jahre bestand. Vermutlich kam es in Nottuln wie auch in anderen münsterländischen Gemeinden erst nach dem 1. Weltkrieg zu den genannten Vereinsbestrebungen.

Am Anfang der Nottulner Vereinsgründung gab es zunächst auch wohl Widerstand gegenüber Kaplan Telohe und seine Bestrebungen, als Präses des Gesellenvereins mitzuwirken. Erst nach einigem Hin und Her wurde er in seiner Funktion bestätigt.

Bei allen Schwierigkeiten: Die Männer um Fritz Wessels und um den damaligen Kaplan Telohe haben sich nicht abhalten lassen. Ein starkes Vereinsleben entsteht. Das Jahr 1926 ist geprägt durch vielfältige Aktivitäten. Bereits im Frühjahr (25. April 1926) gibt es eine erste große Feier, das Schutzfest des Hl. Josef. 90 Mitglieder erscheinen auf dieser offiziellen Versammlung zur offiziellen Etablierung des Vereins. Ein Vorstand wird gewählt mit Fritz Wessels an der Spitze und mit weiteren Vorstandsmitgliedern wie Wilhelm Niemann, Josef Kentrup, Josef Hauk, Josef Humberg, Clemens Dunkel und Johannes Schwering. Großer Förderer des neuen Vereins ist Gottfried Niemann sen. (Druckereibesitzer), später sein Sohn Gottfried Niemann.

Gemeinsame Gottesdienste und Kommunionfeiern, viele Vorträge und kleine Kurse (Deutsch, Mathematik, Fachzeichnen, Religion durch ortsansässige Pädagogen wie Rektor Beuys und Lehrer Keßler) stehen auf der Tagesordnung. Die meisten Vorträge und Kurse werden im Vereinslokal Fels in der Burgstraße abgehalten. Im Sommer 1926 wird eine Gesangsabteilung gebildet, geleitet vom Kassengehilfen Josef Kinnebrock.

Kaplan Telohe verlässt Nottuln schon im Jahre 1927. Er nimmt eine Stelle als Vikar in Gladbeck an. Nachfolger wird Kaplan Becks, der sich für den Gesellenverein ebenfalls stark engagiert.

Der neue Verein blüht in den Jahren 1927 bis 1933 auf: Neben den wöchentlichen oder monatlichen Zusammenkünften bildet sich eine Theatergruppe, die bereits Ende 1926 in Erscheinung tritt. Aufgeführt werden in den Jahren 1926 bis 1929 die Theaterstücke "Der Kampf mit dem Drachen", "Josef und seine Brüder" und "Golgotha".

Daneben gibt es Dichterlesungen, Sommerfeste, Ausflüge (z.B.1928 nach Köln, 1929 nach Borkum), Ganz groß gefeiert wird das Stiftungsfest 1927 am  1. und 2. Mai mit der Fahnenweihe. Zu diesen Festtagen kommen zahlreiche auswärtige Vereine mit ihren Fahnenabordnungen.

Nach 1933 wird es für alle kirchlichen Verbände und Vereine schwieriger, zu agieren; schließlich müssen im kath. Gesellenverein ab 1936 quasi alle Tätigkeiten eingestellt werden. Erst nach Ende des 2. Weltkrieges gibt es einen Neubeginn. Und bald danach kann der Verein - jetzt Kolpingsfamilie Nottuln - im Jahr 1951 sein 25-jähriges Bestehen feiern.

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Einige Fotos:

- Fahnenweihe 1927

- Theater "Josef und seine Brüder"

- Theater "Jans von Davensberg"